Ich habe zwei Yogalehrer Ausbildungen hinter mir, genauer gesagt, eine Ausbildung und eine Weiterbildung. Zusammengenommen ging ich über vier Jahre in die Lehre. Hinzu kommen unzählige Yogaunterrichte: etwa zwölf Jahre als Schülerin und fast acht Jahre als Lehrerin. Klingt nach viel aber im Yoga ist das ein kleiner Schritt auf einem (lebens-)langen Weg. Yoga ist ein nicht endender Lernprozess, das erfahre ich täglich auf meiner Matte und in meinen Yogastunden.
Ein Beispiel ist die Arbeit mit den bandhas. Trotz jahrelanger Arbeit sind sie mir ein Rätsel, obwohl es unzählige Erklärungsansätze gibt.
Für alle, die mit dem Begriff nichts anfangen können: Bandha ist eine Technik des Hatha Yoga und bedeutet übersetzt so viel wie „bündeln“. Durch bestimmte tiefliegende Muskelkontraktionen soll prana, die Lebensenergie, im Körper gebündelt und gehalten werden.
Verschiedene Erklärungsansätze
In meiner ersten Ausbildung lernte ich, uddiyana bandha „zu setzen“, indem ich den Unter- und den Oberbauch nach innen sauge und während der gesamten Yogapraxis dort halte. Mula bandha, so erfuhr ich, wird erreicht, wenn ich den Anus-Schließmuskel (Teil des Beckenbodens) nach innen ziehe und ebenfalls nicht mehr loslasse.
In meiner Weiterbildung wurden die bandhas nur nebenbei thematisiert. Ich erinnere mich lediglich an eine Aussage, nach der man die bandhas nicht durch muskuläre Arbeit erzeugen könne wie etwa, die Hand mithilfe des Bizeps zum Oberarm führen. Die bandhas entstünden ohne Anstrengung durch das Verschmelzen von asana und pratyahara (Artikel zu pratyahara) in Verbindung mit tiefer und feiner Atmung. Die muskuläre Voraussetzung sei jedoch, den Beckenboden zu aktivieren und zu halten und den Nabel mithilfe der tiefliegenden, schrägen und queren Bauchmuskulatur zu stabilisieren.
Der Yogalehrer Ron Steiner schreibt auf dem größten deutschen Online Portal über ashtangayoga (www.ashtangayogainfo.com), dass bandha Energie im Körper leite, und dass die Muskelarbeit lediglich ein Teil von bandha sei. Mula bandha beschreibt er als „Hochziehen und Halten des Beckenbodens“ und uddiyana bandha als „Einziehen des Bauches mit Hilfe der transversalen Bauchmuskulatur“.
In der Hatha Yoga Pradipika (Grundlagenwerk über Hatha Yoga) hingegen steht kaum etwas über uddiyana bandha, weil es, so lesen wir dort, automatisch aus mula bandha entstünde. Man müsse lediglich den Anusschließmuskel kontrolliert halten, während man asana oder pranayama praktiziert.
Wenn ich all das zusammenfasse, komme ich auf Folgendes:
Um bandha zu erzeugen, ist feine Muskelarbeit nötig, die ein hohes Maß an Konzentration erfordert. Die entsprechenden Muskeln (Beckenboden, transversale Bauchmuskulatur) liegen tief im Körper und können nur mit einem hohen Maß an Aufmerksamkeit angesteuert werden. Aufmerksamkeit und Konzentration führen automatisch zu dharana (die Vorstufe von Meditation) weil sie unseren Geist „einpünktig“ machen. Wie ein Laserstrahl, der ohne abzuschweifen auf einen einzigen Punkt ausgerichtet ist.
Die daraus resultierende mentale und emotionale Stille machen aus einfacher Körperarbeit letztlich Yoga.
Der erste Schritt von bandha ist also, die entsprechenden Muskeln in Bauch und Beckenboden anzusprechen. Wie das geht, zeigen euch folgende Übungen. Probiert sie am Besten gleich aus 🙂
Muskeltraining für Bauch und Beckenboden
Sitze aufrecht ohne dich anzulehnen auf einem Stuhl oder auf dem Boden im Lotus-, Schneider, oder Fersensitz. Ziehe mit der Ausatmung den Bauchnabel sanft nach innen oben Richtung Wirbelsäule und halte ihn dort, während du langsam und gleichmäßig weiter atmest. Die Bauchdecke bleibt entspannt (bitte mit der Hand kontrollieren). Bemerke, wenn du die Stabilität in der Nabelgegend verloren hast und hole den Nabel mit dem folgenden Atemzug wieder sanft nach innen oben. So, als würde ein Faden ihn hoch ziehen
Wichtig dabei ist, dass die Lendenwirbelsäule ihre natürliche Krümmung nach vorne behält (keinen Rundrücken!) und dass der Bauch nicht fest wird. (Bitte beides mit der Hand immer wieder prüfen)
Du kannst die Übung auch auf dem Rücken liegend ausführen:
Lege dich auf den Rücken, die Unterlage sollte nicht zu weich sein. Stelle die Füße auf. Ziehe nun deinen Nabel mit der Ausatmung leicht nach unten Richtung Wirbelsäule, ohne, dass sich dein unterer Rücken in den Boden presst. Die natürliche Lordose (Vorwölbung) der Lendenwirbelsäule bleibt die ganze Zeit erhalten.
Die Übung lässt sich auch im Vierfüßlerstand ausführen.
Komme in den Vierfüßlerstand und sauge mit jeder Ausatmung den Nabel zur Wirbelsäule. Halte ihn kurz dort, bevor du locker lässt und der Einatem kommt.
Zur Kräftigung des Beckenbodens eignet sich grundsätzlich alles, was das Fußgewölbe aufbaut, also einfache Übungen zur Fußmobilisierung (ein ausführlicher Artikel dazu erscheint im September), Fußmassagen um Verspannungen und Verklebungen im Bindegewebe zu lösen, barfuß über unebenes Gelände gehen und natürlich die Standhaltungen des Hatha Yoga.
Dass die Stellung des Fußes und der Beckenboden miteinander verbunden sind, zeigt dir folgende Übung:
Stehe barfuß auf hartem Untergrund. Aktivere nun dein Fußgewölbe, in dem du den Großzehenballen absenkst und gleichzeitig deine Knöchel nach außen schiebst. Ziehe zusätzlich die Innenfersen zueinander. Spürst du, wie sich dein Fuß regelrecht verschraubt und wie sich die Muskelkontraktion bis in dein Becken fortsetzt?
Entdeckungsreise zu den bandha
Wer in der Lage ist, die tiefen Bauchmuskeln und den Beckenboden bewusst anzusteuern, kann mit der Selbsterforschung in Bezug auf bandha beginnen. Meiner Ansicht nach ist sie der Schlüssel zum Verständnis. Die Worte eines anderen ersetzen niemals die eigene Erfahrung, um die es im Yoga grundsätzlich geht.
Bandhas geben jedem asana Stabilität. Jedoch nur, wenn sie mit Leichtigkeit gehalten und nicht mit Festigkeit und Anstrengung verwechselt werden.
Bandhas sind der Feinschliff jedes asana. Sie helfen dem Körper, tiefer in eine Haltung zu gleiten, ohne dabei Grenzen zu überschreiten, was das Gewebe und den Energiekörper schwächen würde.
Dies ist jedoch nur die physiologische Ebene von bandha. Bandha kann mehr, nämlich den Energiefluss im Körper und in der Psyche beeinflussen.
Mula bandha ist verbunden mit unserem Wurzelchakra am unteren Ende der Wirbelsäule. Es verbindet uns mit der Erdenergie, gibt Stabilität, Vertrauen und Halt im Leben. Dass dies kein „bloses Gerede“, sondern Realität ist, habe ich selbst erfahren.
Ich arbeite schon seit vielen Jahren mit Menschen, die sich in schwierigen sozialen und beruflichen Situationen befinden. Ich bin mit Widerstand und teilweise Aggressionen konfrontiert, wenn ich vor Gruppen stehe. Mich in solchen Situationen über die Füße mit der Erde zu verbinden, meinen Beckenboden zu aktivieren und meine Wirbelsäule von ihrer Basis nach oben aufzurichten gibt mir Stabilität und Vertrauen, die ich scheinbar auch ausstrahle. Ich habe keine Angst vor dem, was mir entgegenkommt weil ich weiß, dass ich es halten kann. Ich spreche klar, werde gehört und bleibe in der Lage, die Gruppe zu führen und kluge Entscheidungen zu treffen.
Was ich außerdem durch bandhas erfahre, sind Energieströme während der Atmung:
Atme ich ein, spüre ich eine Bewegung nach unten. Der Einatemstrom beginnt an den Nasenöffnungen und setzt sich entlang des Halses fort bis in den Brustkorb und die Wirbelsäule hinab. Dabei werden die Bauchorgane nach unten geschoben und die Bauchdecke wölbt sich nach vorne. Der Beckenboden gibt nach, damit der Einatem bis tief hinab ins Becken fließen kann. Halte ich nun den Beckenboden leicht (!) aktiviert und verhindere mithilfe der tiefliegenden Bauchmuskulatur, dass sich der Bauch nach vorne schiebt, erzeuge ich einen „Gegenstrom“ nach oben. Ich spüre, wie sich die Wirbelsäule von ihrer Basis her (Beckenboden) nach oben bis zum Scheitel aufrichtet.
Während der Ausatmung senkt sich meinen Brustkorb, meine Schulterblätter werden nach unten gezogen und meine Sitzknochen sinken Richtung Boden. Gleichzeitig nehme ich Bewegungen nach oben wahr: die Bauchorgane wandern zurück während sich die Bauchdecke nach innen bewegt, der Nabel wird ganz automatisch Richtung Wirbelsäule gezogen und der Beckenboden hebt sich, um diese Aufwärtsbewegungen zu unterstützen.
Wie ihr seht, ist es wichtig, die Technik hinter den bandhas zu verstehen aber der Rest ist Selbsterfahrung.
Mein Tipp für die Yogapraxis:
Sobald du ein asana grob eingenommen hast (z.B. trikonasana, das Dreieck), baue dein Fußgewölbe auf. Aktiviere deine Oberschenkelmuskulatur und lenke dann deine Aufmerksamkeit weiter zum unteren Ende deines Beckens. Ziehe deinen Anusschließmuskel nach innen und aktiviere so den hinteren Teil deines Beckenbodens. Stelle dir vor, dass ein Faden im Zentrum deines Beckenbodens befestigt ist. Dieser Faden zieht sich nach oben Richtung Bauchnabel, weiter durch deinen Brustkorb hindurch und durch den Hals/ deinen Kehlkopf. Er zieht sich durch deinen Kopf bis zum Scheitel und von dort weiter Richtung Himmel. Atme entlang dieser Verbindung auf und ab, ohne die Stabilität im Beckenboden zu verlieren.
Spüre die Länge, die dabei in deiner Wirbelsäule entsteht und erfahre, wie sich das asana dadurch ganz von selbst vertieft.
Ich wünsche dir viel Freude beim Entdecken 🙂
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